Baltasar Gracian

Handorakel und
Kunst der Weltklugheit

— 155 —

Die Kunst, in Zorn zu gerathen

Wenn es möglich ist, trete vernünftige Ueberlegung dem gemeinen Aufbrausen in den Weg: und dem Vernünftigen wird dies nicht schwer seyn. Geräth man aber in Zorn; so sei der erste Schritt, zu bemerken, daß man sich erzürnt: dadurch tritt man gleich mit Herrschaft über den Affekt auf: jetzt messe man die Notwendigkeit ab, bis zu welchem Punkt des Zorns man zu gehen hat, und dann nicht weiter: mit dieser überlegenen Schlauheit gelangt man in und wieder aus dem Zorn. Man verstehe gut und zu rechter Zeit einzuhalten: denn das Schwierigste beim Laufen ist das Stillestehn. Ein großer Beweis von Verstand ist es, klug zu bleiben bei den Anwandlungen der Narrheit. Jede übermäßige Leidenschaft ist eine Abweichung von unsrer vernünftigen Natur. Allein bei jener meisterhaften Aufmerksamkeit wird die Vernunft nie zu Falle kommen und nicht die Schranken der großen Obhut seiner selbst überschreiten. Um eine Leidenschaft zu bemeistern, muß man stets den Zaum der Aufmerksamkeit in der Hand behalten: dann wird man der erste »Kluge zu Pferde« Spanisches Sprichwort: Keiner ist klug zu Pferde.

Info Impressum Start